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Redispatch 2.0: Netzengpässe vermeiden
Handel , Belieferung von Endkunden , Analyse und Prognose 17.12.2020

Redispatch 2.0 – Netzengpässe intelligent vorhersagen und kompensieren

Wozu werden Redispatch und Einspeisemanagement benötigt? Der aktuelle Redispatch- bzw. Einspeisemanagementprozess bei den erneuerbaren Energien ist erforderlich, damit die Netzbetreiber lokale Netzengpässe in ihrem Netzgebiet beseitigen können. Laut Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) sind die Stromnetzbetreiber „für die Sicherheit und Zuverlässigkeit der Elektrizitätsversorgung in ihrem Netz“ verantwortlich. Damit dies jederzeit gewährleistet ist, haben sie nach §§13,14 EnWG die Möglichkeit, beim Redispatch die geplante Fahrweise von im Netzgebiet angeschlossenen Erzeugungsanlagen anzupassen. Das heißt sie können diese Anlagen netzengpasskompensierend abregeln und an anderer Stelle hochregeln, um eine Netzüberlastung rechtzeitig zu verhindern und die Leistungsbilanz dennoch ausgeglichen zu halten.

Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums (1) waren 2018 etwa 4 % der Stromerzeugungsmengen in Deutschland durch Redispatch-Maßnahmen verursacht. Konkret bedeutet dies rund 21 Mrd. kWh bei einer Gesamtstrommenge von 530 Mrd. kWh. Durch Entschädigungs- und Ausgleichszahlungen wurden knapp 1,5 Mrd. Euro an die Anlagenbetreiber ausbezahlt. Kosten, welche die Netzbetreiber an die Stromendkunden weiterreichen.

Viele Marktakteure von Redispatch 2.0 betroffen

Mit dem zum 13. Mai 2019 in Kraft getretenen Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG) wurde eine Neureglung für die Beseitigung von Netzengpässen in Deutschland beschlossen. Von diesen Vorgaben sind unter dem Schlagwort „Redispatch 2.0“ viele Marktakteure ab dem 01.10.2021 betroffen. Viel Zeit für die Umsetzung bleibt diesen nicht, denn mit der Einführung des Redispatch 2.0 sind von vor allem Netz- und Anlagenbetreibern, aber auch Bilanzkreisverantwortlichen, Direktvermarktern und Lieferanten, viele neue von der Bundesnetzagentur unter dem Aktenzeichen BK6-20-059 verabschiedete, und somit regulatorisch vorgegebene Prozesse abzuwickeln.

Mit der Einführung des Redispatch 2.0 will der Gesetzgeber die aktuellen Redispatch- und Einspeisemanagementregeln vereinheitlichen. Somit ist es zukünftig unerheblich, ob es sich bei den betroffenen Anlagen um konventionelle-, KWK- oder Erneuerbare-Energien-Anlagen handelt. Alle Erzeugungsanlagen >100 kW müssen diesen Prozess umsetzen und werden ab dem 01.10.2021 in das künftige Redispatch-Regime einbezogen.

Des Weiteren soll mit dem neuen Redispatch-Regime die entstehende Ausfallarbeit verursachungsgerecht ausgeglichen werden. Das heißt, dass der Netzbetreiber, der die anlagenseitigen Schaltmaßnahmen anfordert, auch die betroffenen Direktvermarkter- und Lieferanten-Bilanzkreise kompensieren und für eine marktseitige Ersatzbeschaffung sorgen muss. 

Damit der Netzbetreiber zukünftig Netzengpässe frühzeitiger erkennen und den Abregelbedarf rechtzeitiger planen und mit benachbarten Netzbetreibern abstimmen kann, benötigt er Mess-, Planungs- und Prognosedaten, welche er teilweise von den Anlagenbetreibern erhält oder selbst erstellen muss. Mit der damit möglichen intelligenten Netzengpassbehebung können die Menge des Abregelbedarfs von Erzeugungsanlagen, aber auch die daraus resultierenden Kosten reduziert werden. 

Redispatch bedeutet komplexe Datenmelde- und -verarbeitungsprozesse

Was kommt nun auf die Marktteilnehmer zu? Ein großer Teil betrifft das Handling von Daten.

Mit dem Redispatch 2.0 müssen je nach vom Anlagenbetreiber gewählten Redispatchmodell (Prognose- oder Planwertmodell) an den Verteilnetzbetreiber Stamm-, Mess- und Planungsdaten übermittelt werden. Dieser trägt diese zu allen relevanten Erzeugungsanlagen in seinem Netzgebiet zusammen, erstellt eigene Prognosen, wo er sie nicht vom Anlagenbetreiber erhält, und erstellt, unter Berücksichtigung der Netztopologie, eine Netzengpassprognose zyklisch für die nächsten 36 Stunden.

Diese Prognosen stimmen die Verteilnetzbetreiber in der Netzbetreiberkaskade untereinander ab und identifizieren die kostengünstige, netzengpasskompensierende Anlagenabregelung. Damit können mögliche erforderliche Anlagenabschaltungen in verschiedenen Netzbereichen frühstmöglich erkannt, geplant, abgestimmt und durchgeführt werden.

Schlussendlich erstellt der Verteilnetzbetreiber einen anlagenscharfen Abregelungsfahrplan und übermittelt diesen entweder direkt an die Anlagensteuerung (Duldungsfall) oder an den Einsatzverantwortlichen des Anlagenbetreibers (Aufforderungsfall). Wie der Anlagenbetreiber abgeregelt werden möchte, kann er, wie beim Redispatchmodell auch, selbst entscheiden.

Verteilnetzbetreiber müssen, um all die vorgenannten Prozesse durchführen zu können, die vorhandene Leitwarteninfrastruktur IT-technisch um eine Redispatch 2.0 Softwarefunktionalität erweitern. Die Kosten dafür sind bis zum 01.10.2021 über die Anreizregulierung anrechenbar. Der Umgang mit danach entstehenden Kosten ist aktuell nicht geregelt – ein weiteres Argument, zügig tätig zu werden.

Für den bilanziellen Ausgleich der abgeregelten Mengen müssen die Verteilnetzbetreiber einen Redispatch-Bilanzkreis einrichten und 24/7 bewirtschaften. Hat der Netzbetreiber eigene Netzengpässe und muss selber Anlagen abregeln, ist er selber für die Beschaffung des energetischen Ausgleichs am Spot- und Intradaymarkt verantwortlich. Regelt der vorgelagerte Netzbetreiber Anlagen im eigenen Netzgebiet ab, erhält er die Ausfallarbeit von diesem und verteilt sie an die vom Abruf betroffenen Bilanzkreise. Daher ist es als Netzbetreiber auch wichtig, sich umgehend mit dem vorgelagerten Netzbetreiber abzustimmen, und den Abregelbedarf im eigenen Netzgebiet zu identifizieren.

Doch auch die Anlagenbetreiber müssen, je nach gewählten Redispatchmodell, Daten liefern: Sie müssen Stamm-, Mess- und Planungsdaten zur Erzeugung ihrer Anlage an den Anschlussnetzbetreiber melden, sodass dieser das Redispatch-Potenzial ermitteln kann, welches er zur Beseitigung eines Netzengpasses benötigt. Für die Abwicklung des Datenmeldeprozesses sind sie verpflichtet, einen Einsatzverantwortlichen zu benennen. Diese Aufgabe kann an einen Dienstleister, z.B. der Lieferant oder ein Direktvermarkter, ausgelagert werden. Außerdem müssen die Anlagenbetreiber dafür sorgen, dass die Anlagen gesteuert werden können, damit sie über den Redispatch-2.0-Prozess runter- bzw. ggf. hochgeregelt werden können.

 

[1] „Kosten- oder Marktbasiert? Zukünftige Redispatch-Beschaffung in Deutschland“ – Schlussfolgerungen aus dem Vorhaben „Untersuchung zur Beschaffung von Redispatch“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, 2019

Trianel Webmagazin

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